Koschka Linkerhands «Feministisch Streiten 2» – Mehr als eine Rezension

Koschka Linkerhand: Feministisch Streiten 2. Texte zu Bewegung und transnationalen Kämpfen, Berlin: 2024. Querverlag 2024, ISBN: 978-3-89656-348-4, 240 S., 20,00 €

Vorbemerkung 

Die Theoriearbeit von Koschka Linkerhand begleitet die beiden Autorinnen dieses Textes schon viele Jahre. Als mit dem Sammelband «Feministisch Streiten» im Jahr 20181 ihr erster großer, öffentlichkeitswirksamer Beitrag zur feministischen Debatte erschien, waren beide Studienanfängerinnen und, wenn auch seit einigen Jahren feministisch interessiert, so doch auch Anfängerinnen in feministischen Theoriediskussionen. Vorgeprägt – manche würden sagen vorgeschädigt durch die Diskussionen rund um #MeToo, das Wiederauftauchen feministischer Themen im öffentlichen Raum, häufig in der Form des «Popfeminismus», sowie der auf theoretischer Ebene dominanten Strömung des Queerfeminismus, schlug «Feministisch Streiten» ein wie eine Bombe. Es stellte bisherige Überzeugungen in Frage und forderte intellektuell heraus. Der Band bot für die beiden Autorinnen, wie für so viele andere, den ersten theoretischen Zugang zum materialistischen Feminismus. Er wurde nicht nur zu einem prägenden Werk der feministischen Sozialisation, sondern bot auch den Nährboden für die feministische Arbeit, welche die beiden in den kommenden Jahren im Bundesvorstand der Juso-Hochschulgruppen als Zuständige für feministische Arbeit leisten sollten (Laura 2019-2021, Lina 2021-2023).
Der in diesem Jahr erschienene Nachfolgeband, «Feministisch Streiten 2», beschreibt und reflektiert genau die Phase kritisch, in der die Autorinnen dieses Artikelsselbst am engagiertesten in, an und mit der feministischen Bewegung gedacht und gehandelt haben. Exemplarisch dafür ist nicht nur die – etwas ironische – Bezeichnung von «Feministisch Streiten» als die «Bibel» der Juso-Hochschulgruppen, sondern auch die vielen Einladungen von Koschka Linkerhand zu Veranstaltungen bei den HSGn und in deren Umfeld. Nicht zuletzt erschien in der Ausgabe 01/2023 der «
Jungen Perspektiven» bzw. der «perspektivends – Zeitschrift für Gesellschaftsanalyse und Reformpolitik» auch der Artikel «Gegen das Beharren auf Binarität – Warum Materialismus nicht Transfeindlichkeit bedeutet», der die Grundlage für einen der Beiträge in «Feministisch Streiten 2» darstellt.2 

Aufgrund dieser engen persönlichen Verwebungen ist dieser Artikel mehr als eine Rezension: Die beiden Autorinnen besprechen den neuen Beitrag zur feministischen Debatte einerseits, nutzen ihn aber auch als Diskussions- und Reflexionsgrundlage über die vergangenen sechs Jahre feministischen Streitens – bei den Juso-Hochschulgruppen und darüber hinaus.

Mehr als nur eine Fortsetzung – Feministisch Streiten 2

In der Einleitung von «Feministisch Streiten 2»  reflektiert Koschka Linkerhand den Kontext und Inhalt ihrer Analysen aus dem ersten Band. Sie bezeichnet ihn aufgrund der teils heftigen Kritik des (damals) dominanten Queerfeminismus als «Skandalnudelsuppe» (S. 9). Wenige Seiten später folgt ein Abschnitt zur inhaltlichen Reflexion und Kritik einiger Annahmen des ersten Bandes. So mag anfangs der Eindruck entstehen, dass der zweite Band die Schärfe des ersten Bandes entkräften und die theoretischen Pfeiler, die er eingeschlagen hat, relativieren wolle. Angesichts der innen- wie außenpolitischen, regionalen wie globalen Bedrohungen durch revisionistische, faschistische und antifeministische Kräfte, angesichts einer verhärteten Polarisierung innerhalb der feministischen Bewegung selbst, stellt die Autorin die Frage, ob das «Beharren auf einem materialistischen Feminismus» (S. 31) überhaupt (noch) gerechtfertigt sei. Doch dieser erste Eindruck täuscht und wird dem Band nicht gerecht. Anstatt sich am ersten Band abzuarbeiten (oder aber, wie im ersten Band, an den «Queerfeminist:innen»), entwirft Koschka in «Feministisch Streiten 2» eine präzise feministische Methode, die sie in den einzelnen Aufsätzen auf aktuell relevante feministische Gegenstände konsqequent anwendet. Hier liegt die große Stärke des Buches, die uns so anregt: Im Entstehungsprozess ihres theoretischen Entwurfs wendet sie die darin entwickelten Gedanken bereits an. 

Das Buch ermöglicht einen Einblick in den Denkprozess der Autorin. Sie hinterfragt gerade vorgebrachte Argumente, schiebt plastische Beispiele ein oder macht kleine Ausflüge in ihr persönliches Leben – zum Beispiel in die diversen Leipziger Stadtparks, die sie während der Corona-Pandemie erkundet hat. Aber trotzdem –  oder gerade deswegen –  sind die Texte gut lesbar. Sie sind zwar in ihrer Einfachheit und Plastizität für ein theoretisches Werk ungewöhnlich und machen deshalb vielleicht auf den ersten Blick den Anschein, zu simpel zu sein, aber auch das ist ein Trugschluss. Hinter den knappen Sätzen und den lebenswirklichen Beispielen, die in der Regel auch ohne großes Vorwissen zu verstehen sind – damit löst die Autorin eine ihrer Ankündigungen aus der Einleitung ein – steckt eine präzise theoretische Argumentation. 

Koschka Linkerhand macht sich selbst als Autorin in den Texten immer wieder sichtbar. Sie setzt sich mit dem beschriebenen Gegenstand in Beziehung, um eines ihrer theoretischen Kernkonzepte aufzugreifen (dazu weiter unten mehr). Dies geschieht durch die Einflechtung von Anekdoten aus dem persönlichen Erleben, der Reflexion des eigenen feministischen Sozialisationsprozesses und, indem sie das Beschriebene stets auf ihre eigene Lebenssituation und theoretische Situierung bezieht und es aus dieser Warte kritisch kommentiert oder Zweifel äußert. Was diese Schreibstrategie besonders sympathisch macht – abgesehen davon, dass es den Texten eine persönliche Ebene verleiht – ist, dass sie die Autorin als aktives, denkendes Subjekt mit klarer Position einbezieht, sich allerdings nicht auf eine als absolut gesetzte eigene Identität bezieht. Koschka Linkerhand macht ihre Erfahrungen und Einstellungen als in der antideutschen Nachwendeantifa der 1990er Jahre sozialisierte, lesbische, weiße, cis-weibliche Feministin mit ihren Lese- und Lernerfahrungen stets sichtbar. Sie entschuldigt ihre Argumentation damit aber weder nach gängiger intersektionaler Lesart als privilegiert und deshalb nicht berechtigt dazu, Position zu beziehen, noch imprägniert sie ihre Argumentation mit dem Argument der Betroffenheit als unfehl- und hinterfragbar. Stattdessen legt sie die Genese ihrer Überlegungen offen. Besonders in Fällen, in denen sie zu anderen Urteilen kommt als von ihr herangezogene Theoretikerinnen oder in denen sie sich in kontroversen Streitfragen positioniert, gibt sie mit dieser Strategie zwar allen Positionen eine Stimme, verfällt dabei aber weder in Beliebigkeit noch in einen Relativismus. Denn am Ende der Kapitel ist in den meisten Fällen trotzdem klar, zu welcher Analyse Koschka Linkerhand tendiert.

Feministisch streiten – aber mit wem?

Insgesamt besteht der Band «Feministisch Streiten 2» aus zehn inhaltlichen Kapiteln, die – teilweise als eigenständige Essays verfasst – diverse aktuelle Fragen des feministischen Diskurses behandeln – von postkolonialen Ausbeutungsverhältnissen über die Politiserung von Morden an Frauen bis zur Aushandlung des feministischen Subjekts. Ergänzt werden sie durch 14 Exkurse, die von eher persönlichen Rants über digitale Reproduktionsarbeit oder die Vereinsamung in der Pandemie bis hin zu langen Fußnoten über theoretische Sonderfragen reichen. 

«Feministisch Streiten 2» ist einerseits eine Fortsetzung des Bandes von 2018: Die behandelten Themenfelder, die essaysistische Form und nicht zuletzt die Herausgeberin bleiben die gleiche. Trotzdem unterscheidet sich die aktuelle Publikation von ihrer Vorgängerin in einigen entscheidenden Punkten. Koschka Linkerhand – die diesmal nicht nur als Herausgeberin, sondern auch als alleinige Autorin aller Texte auftritt – reflektiert darin über gesellschaftliche und globale Veränderungen der sechs Jahre seit der Publikation des ersten Bandes. Pandemie, Kriege, faschistische und islamistische Bedrohungen haben die Ausgangslage für die feministische Bewegung zu einer anderen gemacht, neue Themen auf die Agenda gesetzt. Gleichzeitig beschreibt sie aber auch innerfeministische Entwicklungen dieser Jahre, die teilweise auch durch «Feministisch Streiten» angestoßen wurden, und geht durchaus hart mit ihnen ins Gericht. Sie kritisiert die Verhärtung der innerfeministischen Streitlinien, besonders um die Positionen des Queer- und Radikalfeminismus. Letzterem wirft sie vor, eine vulgarisierte, essentialisierende, letztendlich missverstandene Variante der materialistischen Kritik zu sein, die sie mit ihrer Publikation vor sechs Jahren so prominent gesetzt hatte. Radikalfeministinnen hätten sich in ihrer Abwehr des Querfeminismus allzu oft mit Konservativen gemein gemacht – ob in der «Verteidigung» des politischen Subjekts Frau oder dem Einsatz gegen Prostitution – und ihren Forderungen damit die Progressivität genommen. Angesichts der Abwehrkämpfe, welche die feministische Bewegung global zu kämpfen habe, hat sich Koschka Linkerhand offensichtlich erneut die Frage gestellt: «Feministisch streiten ja, aber mit wem eigentlich?» und ist zu dem Schluss gekommen: «Streiten ja, aber mit Genossinnen, nicht gegen sie.» Dass dies in der feministischen Praxis nicht immer einfach ist, und ob ihre vorgeschlagenen Konzepte zur Zusammenarbeit innerhalb der diversen feministischen Szene in der politischen Realität auch tragfähig sind, soll an späterer Stelle erläutert werden.

Koschka Linkerhands Auseinandersetzung mit und die Kritik an aktuellen feministischen Entwicklungen nehmen wir allerdings umso ernster, da wir uns und unsere ehemaligen und gegenwärtigen Wirkungsfelder als Teil derselben sehen. Sowohl die Juso-Hochschulgruppen als auch die  «Jungen Perspektiven» sind Teil der feministischen Bewegung. Als Feminist:innen verfolgen wir feministische Debatte und haben sie theoretisch wie praktisch bearbeitet, leidenschaftlich haben wir mit Genoss:innen an deutschen Universitäten gestritten und Positionen erarbeitet, die in den letzten Jahren auf materialistischer Kritik basierten. Genau deswegen – weil wir uns, unsere Organisationen, in der Entwicklung der letzten sechs Jahre verorten, fühlen wir uns mit diesem Buch so verbunden. Deshalb ist aber auch die geäußerte Kritik, besonders die zutreffende, umso schmerzhafter – it hits close to home. Waren wir manchmal apoditktisch mit der Verurteilung queer- bzw. populärfeministischer Positionen – auch in der Ablehnung der eigenen jugendlichen Sozialisation? Haben wir Debatten zu ergebnisorientiert geführt, den Schwerpunkt nicht auf die Diskussion, sondern auf die Vermittlung der «richtigen» Positionen gelegt? Wurden die Debatten – ob in Seminaren oder in der Kneipe – zu binär geführt? Vieles davon mag auch der Dynamik politischer Jugendverbände geschuldet sein, die eben (trotz unseren stetigen – manchmal vielleicht übertriebenen Bemühungen) keine Orte der akademischen Theorieproduktion sind, sondern dazu dienen, junge Menschen zu politisieren, zugespitzte Forderungen zu formulieren und in die öffentliche Debatte einzubringen. Trotzdem oder gerade deswegen kommt «Feministisch Streiten 2» zur richtigen Zeit und bringt mit seiner Kritik und seinen Debattenvorschlägen Punkte in die feministische Bewegung ein, die den Band zum neuen Theorieklassiker nicht nur der Juso-Hochschulgruppen machen können. 

«Verrückt werden an den Widersprüchen» – der Versuch einer materialistisch-feministischen Methode 

Nach dem Aufleben in Form einer «4. Welle» in den 2010er Jahren sieht sich die feministische Bewegung in den vergangenen sechs Jahren durch die multiplen Krisen, die sich inzwischen scheinbar zu einer Dauerkrise verflochten haben, in die Ecke gedrängt.  Ökonomische Missstände, Krieg und Flucht  verstärken die gewaltvollen und prekären Lebensrealitäten von Frauen. Die Pandemie kettete sie wieder stärker an die gesellschaftliche Reproduktionssphäre: Sie waren es, die das System aufrechterhielten – ob durch Kinderbetreuung oder als un(ter)bezahlte Pflegekraft. Gleichzeitig gewinnen rechte Kräfte auch in Deutschland immer mehr an Boden, rechte Diskurse werden gesamtgesellschaftlich dominant, die AfD gewinnt in allen Bundesländern massiv an Stimmen und auch die anderen größeren Parteien Deutschlands, inklusive der SPD, übernehmen rassistische und sozialchauvinistische Narrative. Antifeministische Haltungen sind auf dem Vormarsch, hinter ihnen vereinigt sich das rechte, bürgerliche und konservative Spektrum. In «Feministisch Streiten 2» begründet diese reale und globale Bedrohung von Rechten und anderen regressiv-totalitären Kräften Koschka Linkerhands Plädoyer zur Vereinigung der feministischen Bewegung. Diese Vereinigung soll aber nicht als Vereinheitlichung missverstanden werden – auch in «Feministisch Streiten 2» liegt die Betonung auf einer feministischen Streitbewegung. Jedoch werden Feminist:innen mit anderem theoretischem Hintergrund und zum materialistischen Feminismus divergenten Positionen (anders als in einigen Texten des ersten Teils) als feministische Genoss:innen im Kampf gegen das kapitalistische Patriarchat und seinen politischen Unterstützer:innen verstanden. Diese (Selbst-)Kritik und Reflexion in und an der feministischen Bewegung stellt jedoch nur den Ausgangspunkt der theoretischen Herangehensweise in «Feministisch Streiten 2» dar, keineswegs deren Fazit. 

Vor dem Hintergrund dieser Neubestimmung der Aufgabe ihrer feministischen Kritik und auch ihrer Position in der feministischen Bewegung entwirft Koschka Linkerhand in «Feministisch Streiten 2» eine materialistisch-feministische Methode, mit deren Hilfe sie feministischen Gegenständen begegnet und differenzierte feministische Positionen erarbeitet. Ihr Materialismusverständnis entwickelt sie dabei nicht durch die Abgrenzung zum Queerfeminismus, sondern greift zurück auf das Ursprungskonzept des historischen Materialismus, der seine Analysen stets auf den materiellen und gesellschaftlichen Bedingungen der jeweiligen Epoche basiert. Koschka Linkerhands materialistisch-feministisch Methode besteht außerdem aus Elementen verschiedener theoretischer Zugänge, beinahe ließe sie sich als intersektional bezeichnen (im Sinne von Intersektionalität als Ineinandergreifen verschiedener theoretischer Überlegungen). In ihrer dialektischen Argumentationsweise und ihren Ausführungen zu Subjekttheorie und Nichtidentität wird die starke Prägung der Autorin durch die Kritische Theorie offensichtlich. Diese verknüpft sie klug mit moderneren feministischen Psychoanalytikerinnen wie beispielsweise Jessica Benjamin. Einen weiteren theoretischen Grundpfeiler in «Feministisch Streiten 2» bildet  Rosa Luxemburgs Konzept der «Revolutionären Realpolitik». Klassische marxistische und kapitalismuskritische Argumentationen erweitert sie außerdem global durch dekoloniale Ansätze, wie die Extraktivismuskritik von Eva Vázquez oder Nancy Piñeiro Moreno. Deren Konzepte macht sie in ihrer Argumentation fruchtbar, ohne ihre Leerstellen in Bezug auf Antisemitismus oder gewisse essentialisierende Tendenzen zu ignorieren.   

Aus dieser sozusagen intersektionalen materialistischen Methode ergeben sich theoretische Kernkonzepte, die sich durch die einzelnen Texte ziehen. Dazu gehört beispielsweise das von der Autorin immer wieder in unterschiedlichen Kontexten betonte sich in Beziehung Setzen. Dadurch sollen Differenzen zwischen Frauen (beispielsweise unterschiedliche Positionierungen im globalen kapitalistischen Ausbeutungszusammenhang) sichtbar gemacht, aber nicht – wie dies häufig in intersektionalen oder dekolonialen Ansätzen geschieht – gegeneinander ausgespielt  oder hierarchisiert werden. Das Andere, seien es Frauen in anderen Lebenssituationen, andere theoretische Zugänge oder auch das, was das Subjekt im Zuge seiner Konstitution von sich selbst abspaltet, soll weder dämonisiert noch überhöht und exotisiert werden. Die Autorin plädiert hingegen dafür, die eigene Situation zu derjenigen anderer Frauen in unterschiedlichen globalen und sozialen Kontexten in Beziehung zu setzen und sie – in ihren unterschiedlichen Ausprägungen – als Konsequenz des gleichen globalen Wirkungszusammenhangs, des kapitalistischen Patriarchats, zu verstehen. Koschka Linkerhand fordert dazu auf, «Eigenes im Anderen zu suchen und [es] darüber in ein neues Licht zu setzen, ohne die Differenzen zu vernachlässigen» (S. 129). 

Neue Bündnisse schmieden, trotz wechselseitiger Verletzungen?

Die Strategie des in Beziehung Setzens schlägt Koschka Linkerhand auch als Leitfaden für die feministische Praxis vor. In dem für das Buch typischen, persönlich-reflektierenden Stil positioniert sie sich selbst als Autorin und Theoretikerin in eben dieser Praxis und denkt über ihre Rolle innerhalb der feministischen Bewegung nach. Ihre Rolle versteht sie dabei darin, sich als Einzelne durch Vorträge und Texte in die Bewegung zu begeben und sich darüber mit anderen Feministinnen in Beziehung zu setzen. Feministische Theoretikerinnen seien dabei aber weder als Sprachrohre der feministischen Bewegung zu verstehen, noch als Außenstehende, für die die feministische Bewegung sich nur auf ein Forschungsobjekt reduziere. Ganz im Sinne des feministischen Streitens sollten sie «Teil einer Bewegung und zugleich Kritikerin der Bewegung» (S. 172) sein. 

Doch was bedeutet die Verortung und die Arbeit in einer solchen Bewegung in der Praxis? Laut Koschka Linkerhand solle sich die feministische Bewegung als Streitbewegung über Gemeinsamkeiten anstatt Differenzen konstituieren. Übersetzt in feministische Praxis heißt dies, situations- und inhaltsbezogene Bündnisse zu schmieden. Zu einer Demonstration für legale Abtreibung könnten unterschiedliche Gruppen sich unter dieser Forderung zusammenschließen. Andere Differenzen, wie beispielsweise die Frage nach dem feministischen Subjekt, gelte es dann auszuhalten. Für eine schlagfertige feministische Bewegung ist dieser (vielleicht unrealistische?) Ansatz der anlassbezogenen Bündnisse durchaus produktiv. Aber wie könnte er in der feministischen Praxis funktionieren?

Wer sich in den vergangenen Jahren in und mit der feministischen Bewegung auseinandergesetzt hat, weiß, dass es manchmal fast unmöglich scheint, breite Bündnisse zu formen.  Zu dieser Spaltungsdynamik haben alle beteiligten Akteur:innen beigetragen und auch wir wollen uns aus dieser Kritik nicht herausnehmen. Auch wir haben unsere, wenn auch kleineren, «Skandalnudelsüppchen» gekocht – oder die von anderen zumindest gesalzen. Auch wir haben manchmal über Formulierungsfragen oder die «richtigen» diskursiven Positionierungen aus den Augen verloren, dass mit Genossinnen gestritten und gegen politische Gegner gekämpft wird und nicht andersherum. Vor diesem Hintergrund möchten wir reflektieren, wie die Idee der punktuellen, inhaltsbezogenen Bündnisse in der feministischen Bewegung in die Praxis umgesetzt werden kann. Wir wollen aber auch die Frage aufwerfen, wie realitätsnah diese Idee ist – und wann wir sie vielleicht auch verwerfen müssen. 

Materialistisch argumentierende Feministinnen sind in feministischen Kontexten zwar nicht ganz alleine, doch sehen sie sich aufgrund einer gewissen Hegemonie der identitäts- und queerfeministischen Deutungen häufig nicht nur mit Widerspruch, sondern auch mit Vorwürfen konfrontiert. Wenn Fragen wie beispielsweise der religiösen Unterdrückung, der sexuellen3 Ausbeutung oder der zwar nicht naturgegebenen, aber doch strukturell gesellschaftsprägenden Dominanz des binären Geschlechtersystems diskutiert werden, stoßen individualistische Analysen häufig an Grenzen. Materialistische Perspektiven werden von dieser Warte aus schnell als Einschränkungen der invidiuellen Freiheit abgetan:  Aus Kritik an der sexuellen Ausbeutung von Frauen in der Prostitution wird dann schnell «Sexworkfeindlichkeit», feministische Kritik an religiösen Dogmen und Symbolen wird als Feindlichkeit gegenüber einer bestimmten Religion bzw. ihren Träger:innen verstanden. Solche diffamierenden Urteile vermuteter Feindlichkeiten führten in der Vergangenheit teilweise zu Ausschlüssen und Ausladungen.4 Koschka Linkerhand geht in der Einleitung zu «Feministisch Streiten 2» hart ins Gericht mit materialistischen/radikalen Feministinnen, die aufgrund dieser Zurückweisung – ob aus Trotz oder aus strategischen Überlegungen – inhaltliche Bündnisse dann eben mit Konservativen eingehen oder sich in einen essenzialistischen Radikalfeminismus zurückziehen. Beide Strategien bedeuten letztendlich, eine emanzipatorische Gesellschaftskritik und auch das Streiten (mit Genossinnen) aufzugeben. Gleichzeitig kann aber auch beobachtet werden, dass diese Strategien häufig Rückzüge aus einer feministischen Bewegung darstellen, in der die Deutungshoheit darüber, ob und wie Debatten geführt werden, eher selten bei den materialistischen Feministinnen liegt und diese häufig den gemeinsamen Diskursraum gar nicht erst mitgestalten können.

Wo hört das Genossin-Sein auf?

Die Frage der Grenzen von Bündnissen verhandelt Koschka Linkerhand auch anhand des «üblichen blinden Fleck[s]» (S. 279) des Feminismus – dem Antisemitismus. Sie kritisiert diese Leerstelle bei den postkolonialen Theoretikerinnen, auf die sie sich in ihrer Analyse des globalen kapitalistischen Patriarchats kritisch-affirmativ bezieht. Deren teils binäre Aufteilung der Welt in «Ausbeuter» und «Ausgebeutete» und die Externalisierung jeglicher eigener Implizität an der (Re-)Produktion des kapitalistischen Patriarchats simplifizierten kapitalistische Ausbeutungsstrukturen. Sie seien dadurch nicht in der Lage, Antisemitismus als Ideologie analytisch zu fassen. Dies identifiziert Koschka Linkerhand zwar als Leerstelle der postkolonialen Theorie, plädiert jedoch dafür, dem «alte[n] antideutsche[n] Impuls,» die Vertreter:innen eines postkolonialen Feminismus «wegen ihres Antisemitismus in die Ecke zu pfeffern» (S. 293) und dem Bedürfnis nach einer «fleckenlosen Theorie» (ebd.) zu widerstehen, um auf den zweifellos großen Erkenntnisgewinn dieser Theoretikerinnen zurückgreifen. 

Während man aber einen Text von Silvia Federici, Rita Segato oder auch Judith Butler mal getrost in die Ecke pfeffern kann, um ihn danach wieder aufzuheben und damit und daran weiter zu arbeiten, gestaltet sich eine solche Auseinandersetzung in der feministischen Praxis häufig umso komplizierter. Koschka Linkerhand öffnet zwar die Möglichkeitsräume für punktuelle Kooperationen und liefert hier auch Praxisbeispiele. Doch an anderer Stelle bleibt auch bei ihr eine gewisse Fassungslosigkeit zurück ob der terrorverherrlichenden, autoritären Tendenzen, die gewisse «feministische» Gruppierungen auch in ihrem eigenen Umfeld und unserem eigenen Wirkungskreis an den Tag legen.

Die Frage, wie mit solchen Gruppierungen umzugehen ist, stellt sich umso dringlicher seit dem 7. Oktober 2023 – nicht nur, aber auch in der feministischen Bewegung. Autoritär-stalinistische K-Gruppen und andere selbsternannte «antiimperialistische» Gruppierungen setzen alles daran, «Palästina» als Hauptwiderspruch innerhalb der Linken, und somit auch innerhalb der feministischen Bewegung, zu etablieren. Dabei sind sie an keiner tatsächlichen Debatte oder gar der Verbesserung der politischen Lage in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten interessiert. Unter #MeTooUnlessYouAreAJew wird die Leerstelle, wenn nicht der grassierende Antisemitismus in der feministischen Bewegung verdeutlicht: Betroffenen sexueller Gewalt zu glauben ist offensichtlich nicht länger eine universelle Prämisse, sondern klammert die Erfahrung israelischer und jüdischer Frauen aus.5 Der Entscheidung, diese feministische Grundidee zu verwerfen, geht eine Aufkündigung des Genoss:innen-Seins voraus. Anders gesagt: Fordert man ein Verbünden über Gemeinsamkeiten trotz Differenz ein, so müssen diese Gemeinsamkeiten – wie beispielsweise die Anerkennung der wechselseitigen Menschlichkeit und die Bereitschaft zum Diskurs – überhaupt bestehen. Gruppierungen, die beispielsweise die sexuelle Gewalt des 7. Oktobers leugnen oder gar als Widerstand feiern, haben diesen feministischen Grundkonsens offensichtlich schon aufgekündigt. Aber auch K-Gruppen, deren Rolle Koschka Linkerhand im Exkurs «Differenz im Streik»offen lässt, haben sich durch ihre autoritären Züge und ihrer Toleranz bis Genoss:innenschaft mit Islamist:innen und Hamas-Unterstützer:innen für sämtliche feministische Anliegen disqualifiziert. 

Sind wir also trotz allem Willen zu thematischen Bündnissen wieder in der «ja, aber nicht mit denen-» Spirale angekommen, wenn es um Kooperationen in der feministischen Bewegung geht? Nicht ganz. Denn die Argumentation, die sich durch Koschka Linkerhands gesamtes Buch zieht, beweist, dass es möglich ist, gleichzeitig unterschiedliche theoretische wie praktische Zugänge, Protesttraditionen oder Aktionsformen anzuerkennen, ohne eigene Standpunkte aufzugeben. Es ist möglich, die eigenen Erfahrungen, die theoretischen Erkenntnisse, die feministische Sozialisation, sich selbst als Subjekt zu setzen und sich gleichzeitig als eigenständiges Subjekt in Beziehung mit anderen, eigenständigen Subjekten zu setzen und über diesen Prozess zu Gemeinsamkeiten zu kommen. Dies setzt die wechselseitige Anerkennung als Subjekte voraus – in den verhärteten «Fronten» innerlinker Diskussion nicht immer selbstverständlich, aber unter diesen Bedingungen kann auch in der Praxis feministische Kooperation funktionieren.

Feministische Orthodoxie und Kritik

Zum Ende wollen wir einmal an den Anfang zurück, zu dem Tag, als die Veröffentlichung von «Feministisch Streiten 2» angekündigt wurde. Was haben wir von der Fortsetzung eines Sammelbandes mit Texten zum materialistischen Feminismus, der für uns persönlich von solch großer Bedeutung war, erwartet? Vieles – aber wahrscheinlich nicht dieses Buch. Nach den ersten Seiten haben wir uns offen gesagt gefragt, ob wir überhaupt noch die Zielgruppe dieses zweiten Bandes sind. War Koschka Linkerhand nicht vielleicht zu milde geworden, vielleicht auch erschrocken vor den zahlreichen Einschüchterungsversuchen und lautstarken Kontroversen um den ersten Teil?

Doch nach leidenschaftlichem Lesen, stundenlangen Gesprächen und einer Besprechung, die nicht nur sehr persönlich geraten ist, sondern auch die üblichen Längen unserer Texte bei Weitem sprengt, müssen wir festhalten: «Feministisch Streiten 2» ist ein großartiges und anregendes Buch, das wir unfassbar gerne gelesen haben. Es bricht mit den immer gleichen Konfliktdynamiken, schert aus der «aktivistischen Empörung» (S. 176) aus und rückt anstelle der ein oder anderen «Skandalnudelsuppe» eine differenzierte, unaufgeregte Argumentation, die trotz ihrer vermeintlichen Einfachheit tief verankert ist in die feministische und kritisch-theoretische Philosophietradition. «Feministisch Streiten 2» reagiert reflexiv auf die feministische Bewegung, auf Koschka Linkerhands eigenes Schaffen und die Wechselwirkung zwischen Beidem – aber es bearbeitet mit seiner eigenen materialistisch-feministischen Methode auch viele aktuelle feministische Gegenstände. Die entworfenen Ansätze haben das Potenzial, der Polarisierung des feministischen Diskurses etwas entgegenzusetzen, ohne diese «ohne Rücksicht auf Verluste» einseitig aufzulösen. Die im Buch formulierte Methode kann die feministische Bewegung für ihren theoretischen wie praktischen Aktivismus produktiv nutzbar machen. Und es öffnet Gesprächs- und Gedankenräume – auch für eigene Zweifel und eigene Unsicherheiten.

Für uns war die Lektüre anregend und herausfordernd. In vielen Perspektiven, inneren Konflikten, Unbehagen und Widersprüchen konnten wir uns persönlich wie politisch wiederfinden. Andere wiederum regten zum Weiterdenken, Diskutieren und zu produktiver Selbstkritik an. Wenn wir vom ersten Band von «Feministisch Streiten» manchmal augenzwinkernd als der «Bibel» der Juso-Hochschulgruppen gesprochen haben, so bringt der zweite Band produktive Irritation in unsere manchmal all zu orthodoxen Auslegung. 

1 Linkerhand, Koschka (Hg.): Feministisch Streiten. Texte zu Vernunft und Leidenschaft unter Frauen, Berlin 2018.

2 Linkerhand, Koschka: Gegen das Beharren auf Binarität – Warum Materialismus nicht Transfeindlichkeit bedeutet, in: perspektiven ds 01/23, S. 65-80.

3 Entgegen gegenwärtigen Trends plädiert Koschka Linkerhand dafür, den Begriff «sexuelle» anstatt «sexualisierte» Gewalt zu benutzen. Sie argumentiert, dass die Variante «sexuelle» Gewalt stärker mit einbeziehe, dass Sexualität unter den gewaltvollen kapitalistisch-patriarchalen Bedingungen produziert worden sei und Gewalt ihr so strukturell inhärent sei. Dies würde durch das Attribut «sexualisiert» jedoch verschleiert werden (vgl. «Exkurs 10. Sexuelle oder sexualisierte Gewalt», S. 202-207).

4 Beispielsweise bezeichnen die NRW-Jusos Koschka Linkerhand als Feministin, die sich antimuslimisch rassistisch äußere und plädieren daher für eine Inhaltswarnung: https://wiki.nrwjusos.de/wiki/if-it-isnt-intersectional-it-isnt-feminism-gegen-antimuslimischen-rassismus-im-feminismus/ (zul. 26.11.2024).
Auf Reaktion eines Vortrags von Koschka Linkerhand, in dem sie sich zu feministischer Kritik am Islam referierte, veröffentlichte das queerfeministische Kollektiv gegengrau eine ähnliche Kritik: https://queerfems.blackblogs.org/2019/12/02/koschka-linkerhand-eine-kritik/ (zul. 26.11.2024).

5 Vgl.bspw. https://zwst.org/de/news/metoo-unless-youre-jew (zul. 28.11.2024).