Rückkehr der Baseballschlägerjahre? – Wie die Rechte die Jugendkultur (wieder) einnimmt

In den letzten Monaten erinnerten gewalttätige Übergriffe im Leipziger Lene-Voigt-Park an die einstige Präsenz rechter Gruppen.1 Jugendliche griffen Gruppen mit menschenverachtenden Beleidigungen und körperlicher Gewalt gezielt an. Dabei werden beunruhigende Erinnerungen an die sogenannten «Baseballschlägerjahre» der 1990er und frühen 2000er wach, als in Stadtteilen wie Reudnitz – damals auch bekannt als «Nazi-Kiez» – rechte Gruppen versuchten, durch Gewalt die Oberhand zu gewinnen. 

Diese Vorkommnisse reihen sich ein in die Versuche der Rechten, die Hegemonie in der Gesellschaft zu erlangen.  Zur Erlangung dieser in der Gesellschaft – und damit auch in der Jugendkultur – bedienen sich die Rechten paradoxerweise bei Gramscis Ideen zur Erlangung der kulturellen Hegemonie, die er in seinen Gefängnisheften beschrieb. Gramsci erklärte, dass die herrschende gesellschaftliche Gruppe, um die Zustimmung der Beherrschten zu sichern,  die Fähigkeit beherrschen muss, ihre Weltanschauung als allgemeingültig darzustellen. In dieser Weise versuchen Rechtspopulist*innen durch das Präsentieren vermeintlich einfacher Lösungen und mit einer klaren Abgrenzung von progressiven Ideen ihre Sichtweisen als alternativlos darzustellen.2 Dazu instrumentalisierensie gezielt Identitätspolitik, um ihre Werte als schützenswert zu propagieren und andere Perspektiven zu delegitimieren.

Bis zur Wende zeigt die Geschichte der Jugendkultur in der BRD, dass linke Ideen vor allem in den 1960er und 1970er Jahren eine prägende Rolle spielten, insbesondere durch den Einfluss der kulturellen und politischen Bewegungen in dieser Zeit. Die 68er-Bewegung war hierbei zentral. Studierende und junge Aktivist*innen fanden sich zusammen, die sich gegen die als konservativ und autoritär empfundene Elterngeneration stellten. Dabei machten sie auch auf Missstände wie den Vietnamkrieg oder den autoritären Universitätsbetrieb aufmerksam. Folge dieser Proteste waren umfassende gesellschaftliche Veränderungen und der Fokus einiger Themen wie Antiautoritarismus, Feminismus und Umweltbewusstsein in der öffentlichen Debatte.3 Dieser politische Trend setzte sich auch in den 1970er Jahre fort, die geprägt waren von neuen sozialen Bewegungen, die auch in der Jugendkultur Fuß fassten.4 

Nach der Wende lässt sich durch zunehmende Globalisierung, neoliberale Politik und Migration ein Umschwung beobachten. Das Nichtvorhandensein von Antworten auf die soziale Frage der regierenden Parteien in der Nachwendezeit verunsicherte zahlreiche Menschen. Eine drastische Lage, die sich insbesondere dadurch intensivierte, dass die ostdeutschen Bundesländer durch die schonungslose Angliederung an den kapitalistischen Markt der BRD Unternehmen schließen mussten, der Wohnungsmarkt kollabierte und breite Teile der Bevölkerung in Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit gerieten. Durch die neoliberale Politik in dieser Zeit entstand bei vielen Menschen der Eindruck, von den demokratischen Parteien nicht wahrgenommen zu werden. Diese Stimmung dominiert bis heute und es liegt nahe, dass das gute Wahlergebnis der AfD dieses Gefühl der Überlegenheit begründet und verstärkt hat. 

Über 30 Jahre nach den «Baseballschlägerjahren» haben sich rechtsradikale Ideen wieder ausgebreitet. Für uns als demokratische Sozialist*innen geht es darum, diesem Trend etwas entgegenzusetzen. Dabei ist es besonders wichtig darauf zu schauen, auf welchen Schlachtfeldern linke Politik ihre Hegemonie verloren hat und Strategien zu entwickeln, wie sie die Hegemonie in der Jugendkultur zurückgewinnen kann. 

Die rechte Szene, insbesondere die AfD und ihre Jugendorganisation «Junge Alternative», hat sich in den letzten Jahren gezielt Identitätspolitik zu eigen gemacht, um junge Menschen für sich zu gewinnen. Diese Akteure schufenmit vereinfachten, emotionalisierten Botschaften und in klarer Abgrenzung zu dem, was sie als «progressiv» verunglimpfen, ein Zugehörigkeitsgefühl für jene, die sich von den etablierten Parteien nicht gehört fühlten. Identifikationsfiguren spielen hierbei eine zentrale Rolle: Junge Menschen in authentisch wirkenden Rollen verkörpern die vermeintlich «richtige» Lebensweise und grenzen diese scharf von allen anderen ab. Aussagen wie solche, dass echte Ostdeutsche kein Lastenrad, sondern Simson fahren würden,erzeugen eine starke emotionale Bindung und knüpfen an Themen an, mit denen Jugendliche auch ohne Politikbezug Tag für Tag in Berührung kommen.5 Dies wird durch weitere Mittel wie umgedichtete oder selbstgeschriebene Songs auf die Spitze getrieben, die gezielt zur Normalisierung rechter Narrative genutzt werden. Solche simplifizierenden, emotionalen Inhalte treffen besonders junge Menschen, die Angst vor einer ungewissen Zukunft haben oder nach klaren Orientierungspunkten suchen, welche die rechte Szene als Vehikel für ihre radikalen Einstellungen zu nutzen weiß.

In der Diskussion darüber, wodurch die Jugend im 21. Jahrhundert politisch geprägt wird, führt kein Weg an Social Media vorbei. Denn die sozialen Netzwerke wie Instagram und TikTok haben sich in den vergangenen Jahren zu einem der größten Faktoren bei der Politisierung der Jugend entwickelt. Dies ergibt sich schon aus der schieren Verbreitung der Nutzung dieser Dienste in den entsprechenden Altersgruppen. Laut den Ergebnissen der ARD/ZDF-Medienstudie nutzen 82% der 14- bis 29-Jährigen Instagram sowie 52% TikTok in dieser Altersklasse.6

Besonders fatal ist dabei, dass die AfD und die rechte Szene allgemein als erste und wie keine andere politische Kraft die Chancen von Sozialen Medien begriffen haben. Diese Chance ordnete Erik Ahrens, Social-Media-Stratege der AfD, als ein Fenster ein, das man habe und in welches man täglich hineinsenden könne.7 Rechtspopulist*innen haben darüber hinaus einen entscheidenden Vorteil auf den sozialen Netzwerken: Ihr politischer Auftritt basiert auf emotionalisierenden Inhalten und einer fehlenden Verantwortung, politische Inhalte umsetzen zu müssen. Damit ist es für sie ein Leichtes, hohe Reichweite zu erreichen. Viele Menschen werden eher unter einem Video zur Interaktion gedrängt, in dem auf Politiker*innen geschimpft wird, als beim Auspacken einer Aktentasche durch den Bundeskanzler.8 Die Rechten machen sich hier auch ganz bewusst der Technik des sogenannten «Ragebaitings» zu Nutze. Dabei setzen sie auf polarisierende Inhalte, die nicht nur Interaktion im eigenen politischen Umfeld provozieren, sondern auch im gegnerischen – denn der Algorithmus unterscheidet nicht zwischen kritisierenden Kommentaren und unterstützenden.

Gleichzeitig wird die Polarisierung durch Filterblasen verstärkt. Die Algorithmen der Social-Media-Plattformen sind darauf ausgelegt, eine maximale Verweilzeit der Nutzer*innen zu erwirken. Möglich wird das, indem die Algorithmen möglichst schnell lernen, welche Arten von Beiträgen den Nutzenden gefällt und dementsprechend zu diesen ähnliche ausgespielt werden. Junge Personen mit wenig politischer Prägung die neu auf diesen Social-Media-Plattformen sind und sich zunächst vielleicht von Videos der rechten Szene angesprochen fühlen, bekommen diese immer weiter ausgespielt und integrieren sie aufgrund ihrer vermeintlichen Authentizität stark in ihr politisches Weltbild.  

Es ist essenziell, dass wir uns als progressive Kräfte dem Kampf auf den sozialen Netzwerken stellen. Dabei geht es insbesondere darum, unsere Visionen einer besseren Welt klar und deutlich zu artikulieren. Gleichzeitig muss vermehrt auf authentische junge Personen gesetzt werden statt auf Menschen außerhalb der Realitätswelt der Nutzer*innen oder einen durchprofessionalisierten «Corporate»-Stil. «ReclaimTikTok», eine Initiative, die aus der Fridays-For-Future-Bewegung heraus entstand, hat Anfang dieses Jahres einen wichtigen Schritt gemacht. Die Idee war, durch eine große Community und möglichst viele progressive Inhalte der Flut an rechten Videos auf TikTok etwas entgegenzusetzen.9 Mittlerweile muss nüchtern konstatiert werden, dass die Bewegung leider eingeschlafen ist. Hier braucht es auch die Ausdauer von linken Akteur*innen. Denn wenn wir den Rechten die Hegemonie auf Social-Media-Plattformen überlassen, könnten wir den Großteil einer ganzen Generation verlieren. 

In der DJI-Studie zur «Regionale[n] Bewältigung demografischer Entwicklungen» wurde festgehalten, dass sich Jugendliche häufig in ihren politischen Bedürfnissen nicht wahrgenommen fühlen. Dieser Trend, nach welchem demokratische und linke Parteien die Hegemonie im alltäglichen Leben der jungen Menschen verlieren, ist schon länger zu beobachten. Insbesondere im ländlichen Raum, wo in der Vergangenheit mit Jugendzentren eine Politisierung zu den demokratischen Grundwerten erreicht wurde, fühlen sich viele Menschen nicht mehr von der Politik repräsentiert. Aus Frust über diese politischen Zustände wenden sich diese Jugendlichen vermehrt den rechten Parteien zu.10

Gramscis Konzept der kulturellen Hegemonie verdeutlicht, wie entscheidend es für eine gesellschaftliche Gruppe ist, ihre Werte und Weltanschauungen als allgemeingültig zu etablieren, um Zustimmung und Akzeptanz zu gewinnen. In der beschriebenen Lücke, die das Fehlen demokratischer Institutionen hinterlassen haben, zeigt sich, wie rechte Organisationen wie die AfD, die Junge Alternative oder die «III.-Weg-Jugend» vordringen. Durch Aktivitäten wie Volleyballspiele, Jugendtreffs und Freizeiten schaffen sie hegemoniale Räume. Indem sie Jugendkultur mit klaren, identitätsstiftenden Botschaften wie «Heimat» und «Tradition» besetzen, etablieren sie ihre Werte nicht nur politisch, sondern auch kulturell als Norm. In den ostdeutschen Bundesländern wird der Heimat-Patriotismus als prägender Kernwert besonders in den Vordergrund gestellt. Dies illustriert Höckes sogenannte «Simson-Fahrt» eindrücklich: Durch die gemeinsame Fahrt mit über 100 Jugendlichen wird nicht nur ein Freizeitangebot geschaffen, sondern ein symbolischer Raum für die Verankerung rechter Ideologien in der Alltagskultur der Jugend.

Besonders tragisch an dieser Situation ist, dass die kulturelle Hegemonie demokratischer Kräfte sehenden Auges durch mangelnde Finanzierung aufgegeben wurde. Durch die Austeritätspolitik der letzten Jahre wurde wissentlich immer weiter an den Haushaltsausgaben für Demokratieförderprojekten gekürzt. Selbst die Ampelregierung sah Kürzungen bei der politischen Bildung in einer Zeit, in der eine rechte Partei hohen Zuspruch in der Bevölkerung erhält, in ihren Haushaltsentwürfen vor.11

Die rechte Szene hat durch strategisches und koordiniertes Vorgehen eine erschreckende Hegemonie über Teile der Jugendkultur erlangt. Doch das ist kein Grund zur Resignation. Nicht ohne Grund hat Antonio Gramsci seine Theorie der kulturellen Hegemonie eng an marxistische Ideen wie die der «passiven Revolution» und einer konsequenten Analyse der kapitalistischen Klassengesellschaft angelehnt, wie der Politikwissenschaftler Frank Deppe festhielt. Die Reaktionären setzen in ihrer Politik nicht auf eine materialistische Analyse und werden ohne diese auf Dauer keinen Erfolg haben, die kulturelle Hegemonie zu behalten.12

Als demokratische Sozialist*innen haben wir die Chance, mit einer schonungslosen Kritik von Ökonomie, Staat und Gesellschaft die Hegemonie in der Jugendkultur zurückzuerlangen und zu verteidigen. Dabei besitzen wir entscheidende Vorteile: Unsere sozialistische Vision einer solidarischen, gerechten Gesellschaft bietet starke positive Anknüpfungspunkte. Anstatt uns in reaktionäre Debatten ziehen zu lassen, sollten wir unsere eigenen politischen Projekte klar herausstellen und konsequent für eine Politik eintreten, die jene erreicht, die von den demokratischen Prozessen bisher enttäuscht oder ausgeschlossen wurden. Ein inspirierendes Beispiel dafür ist die Strategie der KPÖ, die mit politischen Themen wie Mietensenkungen Nichtwähler*innen gewonnen hat und auch bei jungen Menschen Erfolge erzielen konnte.13

Dazu gehören auch konkrete Investitionen: Die Ausfinanzierung von Jugendräumen und eine umfassende Förderung von Demokratiebildung sind essenziell. Nur so können wir eine aktive, aufgeklärte Jugendkultur schaffen, die eine demokratische, solidarische Zukunft mitgestaltet.

1 Ebneth, V. (2024, 16. November). Leipzig: Rechte Gewalt im Lene-Voigt-Park – Jugendlicher schildert brutalen Angriff. LVZ – Leipziger Volkszeitung. https://www.lvz.de/lokales/leipzig/leipzig-rechte-gewalt-im-lene-voigt-park-jugendlicher-schildert-brutalen-angriff-L36QK6FZNVGIBACXEH42NUFIDM.html.

2  Lars Hendrik Beger, Kampf um kulturelle Hegemonie: Wie die Neue Rechte sich der Popkultur bedient, https://www.deutschlandfunkkultur.de/neue-rechte-popkultur-kulturelle-hegemonie-100.html (Zugriff: 26.10.2024).

3 Bildung, B. F. P. (2021, 26. November). Einführung. bpb.de. https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/jugendkulturen-in-deutschland/36177/einfuehrung/.

4 Bildung, B. F. P. (2021b, Dezember 3). Die 1970er. bpb.de. https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/jugendkulturen-in-deutschland/36193/die-1970er/.

5 Diese Parole nutzte der Thüringer JA-Vorsitzende, Eric Engelhardt, in einem mittlerweile von allen Plattformen gelöschten Video.o behauptet der Thüringer JA-Vorsitzende Eric Engelhardt genau das

6 Ergebnisse der ARD/ZDF-Medienstudie 2024. (2024). In Media Perspektiven (Bd. 28, S. 1–2). https://www.ard-media.de/fileadmin/user_upload/media-perspektiven/pdf/2024/MP_28_2024_ARD_ZDF-Medienstudie_2024._Zahl_der_Social-Media-Nutzenden_steigt_auf_60_Prozent.pdf.

7 Von Boeselager, M. (2024, 8. Juni). Digitale Propaganda. DER SPIEGEL, Hamburg, Germany. https://www.spiegel.de/kultur/afd-tiktoker-erik-ahrens-sie-sitzen-hier-mit-jemandem-auf-der-ebene-von-steve-bannon-a-3f810fd5-2f65-492c-bcfb-e6bda3f6dc78.

8 Ggemeint ist ein auf TikTok veröffentlichtes Video, in welchem Bundeskanzler Olaf Scholz Gegenstände aus seiner Aktentasche auspackt. 

9 Huesmann, F. (2024, 14. Mai). #reclaimtiktok: Fridays for Future will Tiktok von Rechtsextremen „«zurückerobern»“. RND.de. https://www.rnd.de/politik/reclaimtiktok-fridays-for-fuiture-will-tiktok-von-rechtsextremen-zurueckerobern-JIRPDXMKB5BUFKPF2HVSSUUU4U.html.

10 Beierle, S., Tillmann, F., Reißig, B. & Deutsches Jugendinstitut e.V. (2016). Jugend im Blick – Regionale Bewältigung demografischer Entwicklungen. In Abschlussbericht (Überarbeitete Fassung vom 10.05.2016) [Report]. Deutsches Jugendinstitut e.V. https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/jugendimblick/Abschlussbericht_Final.pdf.

11 tagesschau.de. (2023b, September 5). Bundeszentrale für politische Bildung – Kritik an Etatkürzung. tagesschau.de. https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bundesetat-politischebildung-kuerzung-100.html.

12 Antonio Gramsci – eine Einführung – Rosa-Luxemburg-Stiftung. (o. D.). https://th.rosalux.de/dokumentation/id/41086/antonio-gramsci-eine-einfuehrung.

13 ​​​​​​​Das beste Mittel gegen Rechts: Warum die KPÖ alles ganz anders macht – Rosa-Luxemburg-Stiftung. (o. D.). https://www.rosalux.de/news?tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews%5D=52106&tx_news_pi1%5Bnews_uid%5D=0&cHash=e25e1c49114ccc83eac9eea327d049b2.