24. Mai 2024, Aue-Bad Schlema, eine Kreisstadt in Sachsen: Auf dem Marktplatz steht ein einsamer roter Schirm. Rundherum stehen vier Wahlkämpfer:innen der SPD. Wer vorbeikommt, möchte selten wissen, mit welchem Kommunalprogramm sie für den Stadtrat antreten oder bringt eigene konstruktive Ideen ein. Bestenfalls schlägt den Wahlkämpfer:innen lautes Desinteresse entgegen, oftmals sind es Parolen, die aus dem Reichsbürger- oder rechtsnationalen Spektrum kommen.
In den letzten Jahren hat Deutschland, wie viele andere Länder, einen besorgniserregenden Rechtsruck und eine zunehmende Bedrohung der Demokratie erlebt. Rechtspopulistische Bewegungen und Parteien gewinnen – wie gerade erst am schmerzhaft langen, blau-braunen Balken bei den Europa- und Kommunalwahlen zu sehen war – an Einfluss, während demokratische Parteien und Vereine gerade im Osten Deutschlands unter Druck geraten.
In der Problembeschreibung sind sich viele einig, aber was folgt an notwendigen Handlungsaufforderungen für eine moderne linke Politik?
Mut zur Rückverteilung von oben nach unten
Die wichtigste Aufgabe der modernen linken Politik ist eine, die seit der Entstehung der Arbeiter:innenbewegung zentral ist: die Förderung sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Dies wurde jüngst eindrucksvoll in der Talkshow Deutschland 3000 verdeutlicht, als Christian Lindner mit Studien konfrontiert wurde, die den Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und dem Wählen rechter Parteien aufzeigen. Diese Studien belegen, dass wirtschaftliche Unsicherheit und soziale Ungleichheit oft den Nährboden für populistische und antidemokratische Strömungen bilden. Um dem entgegenzutreten, muss sich linke Politik darauf konzentrieren, soziale Sicherheit zu gewährleisten und allen Menschen gleiche Chancen zu bieten. Lindners abweisender Ignoranz zum Trotz gibt es eine Reihe an möglichen Hebeln, um von oben nach unten umzuverteilen.
Ein wichtiger Ansatzpunkt ist die Vermögenssteuer. Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich stellt ein großes gesellschaftliches Problem dar. Durch eine gerechte Besteuerung von Vermögen würden finanzielle Mittel generiert, die in wichtige gesellschaftliche Bereiche wie Bildung und Infrastruktur fließen könnten. Dies würde nicht nur den sozialen Ausgleich fördern, sondern auch die gesamtwirtschaftliche Stabilität stärken. Durch die Besteuerung von hohen Vermögen und die Verwendung der Einnahmen für öffentliche Dienste oder soziale Programme könnten Ungleichheiten verringert werden. Eine gerechtere Verteilung des Reichtums kann das Vertrauen in demokratische Institutionen stärken und das Gefühl der sozialen Gerechtigkeit fördern.
Wer das Gefühl hat, fair behandelt zu werden und dass die eigene Stimme zählt, ist eher bereit, sich an politischen Prozessen zu beteiligen, sei es durch zivilgesellschaftliches Engagement, Wahlen oder politische Debatten.
Nirgends wird so wenig geerbt wie im Osten Deutschlands. Große Vermögen werden in der Regel mit allen steuerlichen Finessen kleingerechnet und am Ende weniger versteuert als der mühsam erarbeitete Sparstrumpf von Oma Lieselotte. Auch die Erbschaftssteuer spielt eine wesentliche Rolle bei der Umverteilung. Durch eine angemessene Besteuerung großer Erbschaften kann sichergestellt werden, dass nicht nur wenige privilegierte Familien von Reichtum profitieren. Stattdessen können die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer dazu genutzt werden, öffentliche Güter zu finanzieren und soziale Ungleichheiten zu verringern.
Die seit Monaten, wenn nicht sogar Jahren heiß diskutierte Schuldenbremse ist ein weiteres wichtiges Thema in diesem Kontext. Ein Staat sorgt im Gegensatz zum privaten Sparstrumpf mit gezielten Investitionen in Krisenzeiten für ein gutes Morgen vor. Das heißt, dass Ausgaben in der Regel azyklisch vorgenommen werden müssen, um langfristige soziale und wirtschaftliche Vorteile zu erzielen. Dazu gehören Investitionen in Bildung, Infrastruktur und soziale Sicherheit, die wiederum die Grundlage für eine gerechtere Gesellschaft bilden.
Durch eine gerechte Besteuerung, gezielte Investitionen und die Stärkung der politischen Bildung kann eine Gesellschaft entstehen, in der alle Menschen gleiche Chancen auf ein gutes Leben haben. Linke Politik muss zwingend für ein Ende der scheinbar systematischen Entwicklung sorgen, dass Reiche in unserer Gesellschaft immer reicher werden, während Zukunftsinvestitionen dem Dogma der schwarzen Null unterliegen. Währenddessen kämpfen diejenigen, die weniger Geld zur Verfügung haben, um das Wenige in Neid und gegenseitiger Abwertung gegeneinander. Das sorgt für Instabilität im sozialen Miteinander und widerspricht aller links-sozialen, solidarischen Logik.
Schafft die Sozialdemokratie es, dieser Spirale mit den vorgeschlagenen Instrumenten entgegenzuwirken, stärken wir nicht nur den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, sondern festigen auch die Demokratie und entziehen antidemokratischen Strömungen den Nährboden.
Soziale Gerechtigkeit und Rück- und Umverteilung sind auch heute keine utopischen Konzepte, sondern essenzielle Bestandteile einer stabilen und gerechten Gesellschaft. Linksprogressive Politik muss aber wieder einen Weg zurück zu ihren roten Linien finden und diese vehement verteidigen.
Demokratie lebt vom Mitmachen (können)
In einer Zeit, in der gesellschaftliches Engagement immer wichtiger wird, spielt die Zivilgesellschaft eine zentrale Rolle, um gegen rechtsextreme Tendenzen vorzugehen und die Demokratie zu stärken. Gerade in ländlichen Gebieten sind die Herausforderungen besonders groß. Menschen, die sich hier gegen rechts positionieren, stehen oft massiv unter Druck und geraten schnell ins Fadenkreuz.
In Kleinstädten und Dörfern ist es wesentlich schwieriger, Menschen für politische Aktionen zu mobilisieren. Wer an Demonstrationen teilnimmt, zeigt Gesicht und wird wiedererkannt. Das weiß auch das Bündnis B96 begradigen bei den Protesten für Vielfalt, Offenheit und Demokratie im Landkreis Bautzen. In einer Kleinstadt und auf dem Dorf kennt jeder jeden und während der Demos stehen rechte Gruppierungen oft bedrohlich nah und beobachten genau, wer sich engagiert. Der Mut, dennoch gegen Rechts Gesicht zu zeigen, verdient besondere Anerkennung. Die Hürde, in einer kleinen Gemeinschaft öffentlich Stellung zu beziehen, ist ungleich höher als in der Anonymität einer Großstadt wie Berlin.
Kraftklub bringt diese Problematik treffend auf den Punkt: «Nazis raus!» ruft es sich leichter da, wo es keine Nazis gibt. Diesen schwierigen Bedingungen trotzend, stehen Bündnisse wie das an der B96 mutig mit bunten Flaggen und zeigen Haltung.
Linke Politik hat hier eine besondere Verantwortung, wenn es darum geht, denjenigen den Rücken zu stärken, die auf die Nazis pfeifen und den Rücken gerade machen für unsere Demokratie. Natürlich muss benannt werden, wie krass die Zustände sind, wie klein die Möglichkeiten für zivilgesellschaftlichen antifaschistischen Kampf auf den Dörfern Sachsens gemacht wurden. Aber einer dystopischen Lagebeschreibung müssen auch die Handlungsoptionen wie ein Beipackzettel beiliegen. Es geht zuallererst darum, zivilgesellschaftliches Engagement sichtbar zu machen. Das mag banal klingen, hat aber den Effekt, dass sich Menschen, die sich einbringen, miteinander vernetzen können und wissen: sie sind nicht allein, sie werden nicht hängen gelassen. Demokratie lebt vom Mitmachen. Es ist zwingend notwendig, lokale Projekte für politische Bildung und Beteiligungsformate dauerhaft und langfristig zu finanzieren. Es braucht strukturelle Veränderungen, die echte Partizipation und Einflussnahme auf lokaler Ebene ermöglichen. Statt Scheinpartizipation müssen reale Mitbestimmungsmöglichkeiten vor allem für junge Menschen geschaffen werden. Kinder und Jugendliche brauchen Räume, in denen sie Wirkmächtigkeit erleben, in denen sie konstruktive Debatten lernen und Projekte umsetzen können. Kurz gesagt: Sie brauchen Orte, in denen sie ernst genommen werden.
Starke Position gegen Rechtsextremismus und Populismus beziehen
Rechtsextremismus bedient sich des ganzen Spektrums der Vereinfachung, Übertreibung, der bewussten Falschinformation. Dabei gilt: je doller, desto toller. Populismus verfängt sehr leicht, lässt sich beliebig oft und ohne langes Nachdenken im Familien- oder Vereins-Chat teilen. Leicht lassen sich so Feindbilder manifestieren und durch empörtes Auf-den-Tisch-klopfen bestätigen: «die da oben sind an allem Schuld». Der Schritt zu Verschwörungsideologien, Antisemitismus und Rassismus ist nur noch sehr klein.
Linke Politik muss eine klare und unmissverständliche Position gegen Rechtsextremismus und Populismus einnehmen. Dies erfordert nicht nur die Verurteilung rechter Ideologien, sondern auch aktive Maßnahmen zur Bekämpfung von Hass und Hetze. Dazu gehört die Unterstützung von Initiativen gegen Rechtsextremismus, der Schutz von Opfern rechter Gewalt und eine konsequente Strafverfolgung rechtsextremer Straftaten.
Dort, wo Rechtsextreme und Rechtspopulisten an die Macht kommen, werden zuerst die Justiz und die freien Medien angegriffen, beschränkt und abgebaut. Diese Bereiche müssen wir resilienter aufstellen. Diese Bestrebungen sind kein Ort für parteipolitisches Taktieren. Das Bundesverfassungsgericht muss zwingend im Grundgesetz besser abgesichert werden. Zudem bedarf es einer Strategie für den Schutz der Rundfunk-Staatsverträge, um qualitativen Journalismus jenseits politischer Mehrheiten zu gewährleisten.
Ein Hoch auf die Empathie
In Zeiten, in denen Politik oft als trockener Verwaltungsakt oder als Schaulaufen in abendlichen Talkshows wahrgenommen wird, bedarf es einer Rückbesinnung auf die menschlichen Werte. Keine Floskeln, kein einschläferndes «Das wird schon» – es ist die Empathie, die den Weg zu einer modernen linken Politik ebnet. Empathie bedeutet, die Perspektiven des Gegenübers zu verstehen und Raum für das Verbindende zu schaffen.
Das bedeutet, zuzuhören und Gefühl zu zeigen, ohne dabei die eigene Haltung zu verlieren. Eine empathische Haltung schafft nicht nur Vertrauen, sondern auch die Bereitschaft, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Es geht darum, eine Politik zu gestalten, die nicht nur redet, sondern auch handelt. So ist auch das Scheitern leichter zu verkraften.
Empathie heißt nicht, ohne eigene Meinung zu sein. Im Gegenteil: Es erfordert Mut und Standhaftigkeit, eine klare Haltung zu zeigen und dennoch offen für das Gegenüber zu bleiben. Linke Politik muss diesen Spagat meistern – die Bedürfnisse der Gesellschaft ernst nehmen und gleichzeitig für ihre eigenen Werte einstehen. So kann sie den Handlungsspielraum erweitern, erklären und in Zeiten sich schnell wandelnder Umstände einen sicheren Kompass bieten.
Die Vermenschlichung der Politik beginnt bei den kleinen Dingen. Ob in Bürgerämtern oder bei öffentlichen Veranstaltungen – überall dort, wo Menschen mit dem Staat oder seinen Vertreter:innen in Berührung kommen, sollte das spürbar sein.
Mut zur Empathie, Mut zur Haltung und Mut zur Veränderung – das ist die Essenz einer modernen linken Politik, die nicht nur verwaltet, sondern gestaltet.
Die radikale Verantwortung aller
Eine moderne linke Politik, die dem Rechtsruck und den Feinden der Demokratie entgegentritt, muss sich kompromisslos durch soziale Gerechtigkeit und Verteilungsfragen sichtbar machen. Es braucht ein starkes Rückgrat ohne Angst vor Veränderungen!
Wir dürfen nicht zulassen, dass soziale Ungleichheit und Unsicherheit unsere Gesellschaft weiter spalten. Wir brauchen eine kraftvolle Umverteilung von oben nach unten.
Wir müssen uns klar und laut gegen die Rechtsextremen und ihre hetzerischen Parolen stellen. Keine Kompromisse, kein Zurückweichen! Es ist höchste Zeit, dass wir unsere Demokratie verteidigen und jedem zeigen, dass Hass und Hetze keinen Platz in unserer Gesellschaft haben. Demokratie ist aber eine Sache, die nicht mit hohen Erwartungen an politische Akteure belebt wird. Es geht um die radikale Verantwortung aller. Alle sind an allen Stellen verantwortliche Akteure des demokratischen Miteinanders – im Betrieb, beim Geburtstagskaffee mit der Familie und im Sportverein.
Jetzt ist die Zeit für Mut, Klarheit und eine entschlossene Haltung.
«Für die Größe der Bedrohung ist ein Hashtag zu klein, diese Zeiten zu laut
Für eine Mehrheit, die schweigt, raus auf die Straßen, wer ist bereit?»
(Kafvka, Song: Alle hassen Nazis)